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Das Schlimmste passiert dort, wo wir uns sicher fühlen: in der eigenen Familie. Was nach dem plötzlichen Tod des Vaters zunächst wie ein Erbstreit zwischen Geschwistern aussieht, wird für die ältere Schwester Bergljot zu einem Kampf um die jahrzehntelang verdrängte Wahrheit. Es geht nicht um Geld und Besitz. Es geht darum, wem die Vergangenheit gehört. Mit unverwechselbarer Konsequenz erzählt Vigdis Hjorth von der Sehnsucht nach Anerkennung, von der Kraft der Befreiung und von der Frage, ob wir unserer eigenen Geschichte vertrauen dürfen.Mit »Ein falsches Wort« gelang Vigdis Hjorth ...
Das Schlimmste passiert dort, wo wir uns sicher fühlen: in der eigenen Familie. Was nach dem plötzlichen Tod des Vaters zunächst wie ein Erbstreit zwischen Geschwistern aussieht, wird für die ältere Schwester Bergljot zu einem Kampf um die jahrzehntelang verdrängte Wahrheit. Es geht nicht um Geld und Besitz. Es geht darum, wem die Vergangenheit gehört. Mit unverwechselbarer Konsequenz erzählt Vigdis Hjorth von der Sehnsucht nach Anerkennung, von der Kraft der Befreiung und von der Frage, ob wir unserer eigenen Geschichte vertrauen dürfen.
Mit »Ein falsches Wort« gelang Vigdis Hjorth der internationale Durchbruch. Der Roman löste in Norwegen einen Skandal um die Wahrhaftigkeit von Literatur aus, gewann eine Vielzahl von Preisen und festigte Hjorths Status als eine der bedeutendsten Autorinnen unserer Zeit, die 2023 für den International Booker Prize nominiert war und deren Werk in 20 Sprachen übersetzt ist.
Mit »Ein falsches Wort« gelang Vigdis Hjorth der internationale Durchbruch. Der Roman löste in Norwegen einen Skandal um die Wahrhaftigkeit von Literatur aus, gewann eine Vielzahl von Preisen und festigte Hjorths Status als eine der bedeutendsten Autorinnen unserer Zeit, die 2023 für den International Booker Prize nominiert war und deren Werk in 20 Sprachen übersetzt ist.
Vigdis Hjorth, 1959 in Oslo geboren, ist eine der meistrezipierten Gegenwartsautorinnen Norwegens. Sie ist vielfache Bestsellerautorin, wurde für ihr Werk unter anderem mit dem norwegischen Kritikerprisen und dem Bokhandlerprisen ausgezeichnet und war für den Literaturpreis des Nordischen Rates, den National Book Award sowie den International Booker Prize nominiert. Bei S. FISCHER erschienen die Romane 'Die Wahrheiten meiner Mutter' und 'Ein falsches Wort'. Für ihren neuesten Roman 'Wiederholung' wurde Vigdis Hjorth 2024 mit dem Kritikerprisen ausgezeichnet. Nach Stationen in Kopenhagen, Bergen, in der Schweiz und in Frankreich lebt Vigdis Hjorth heute in Oslo. Dr. Gabriele Haefs, geboren 1953, studierte Sprachwissenschaft in Bonn und Hamburg. Sie übersetzt aus dem Norwegischen, Dänischen, Schwedischen, Englischen, Niederländischen und Gälischen, u.a. Werke von Jostein Gaarder, Håkan Nesser und Anne Holt.
Produktdetails
- Verlag: S. Fischer Verlag GmbH
- Originaltitel: Arv og miljø
- 2. Aufl.
- Seitenzahl: 396
- Erscheinungstermin: 13. März 2024
- Deutsch
- Abmessung: 209mm x 127mm x 35mm
- Gewicht: 499g
- ISBN-13: 9783103975130
- ISBN-10: 3103975139
- Artikelnr.: 69164449
Herstellerkennzeichnung
FISCHER, S.
Hedderichstraße 114
60596 Frankfurt
produktsicherheit@fischerverlage.de
Alles kommt hoch
Eine späte Entdeckung: Die Norwegerin Vigdis Hjorth erzählt in ihrem Roman "Ein falsches Wort" mehr als nur ein Familiendrama.
Von Anna Vollmer
Auf den ersten Blick lässt sich "Ein falsches Wort", der rund 400 Seiten lange Roman der norwegischen Schriftstellerin Vigdis Hjorth, recht knapp zusammenfassen: Eine Familie streitet sich ums Erbe. Doch wie bei jedem echten Erbstreit geht es auch hier nicht um Materielles, um Geld oder Immobilien (auch wenn zwei Ferienhütten im Buch eine sehr prominente Rolle spielen). Sondern um die Frage, was sich durch die Verteilung des Erbes ausdrückt: Wer wurde am meisten geliebt? Und wen möchte man durch scheinbare Gerechtigkeit, durch Großzügigkeit,
Eine späte Entdeckung: Die Norwegerin Vigdis Hjorth erzählt in ihrem Roman "Ein falsches Wort" mehr als nur ein Familiendrama.
Von Anna Vollmer
Auf den ersten Blick lässt sich "Ein falsches Wort", der rund 400 Seiten lange Roman der norwegischen Schriftstellerin Vigdis Hjorth, recht knapp zusammenfassen: Eine Familie streitet sich ums Erbe. Doch wie bei jedem echten Erbstreit geht es auch hier nicht um Materielles, um Geld oder Immobilien (auch wenn zwei Ferienhütten im Buch eine sehr prominente Rolle spielen). Sondern um die Frage, was sich durch die Verteilung des Erbes ausdrückt: Wer wurde am meisten geliebt? Und wen möchte man durch scheinbare Gerechtigkeit, durch Großzügigkeit,
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möglicherweise zum Schweigen bringen?
Die Hauptfigur Bergljot, Redakteurin und Theaterkritikerin, hat den Kontakt zu ihrer Familie weitgehend abgebrochen. Schon vor Jahrzehnten erinnerte sie sich in ihrer Psychoanalyse, dass sie als Fünfjährige vom Vater missbraucht wurde. Eine Tat, mit der sie die Familie konfrontiert hatte und die der Vater nicht zugeben, Mutter und Schwestern nicht ernsthaft anerkennen wollen. Der Familienfrieden soll nicht gestört, Ruf und Firma nicht ruiniert werden. Dann stirbt der Vater. Als Bergljot und ihr Bruder am Erbe der beiden Ferienhütten nicht beteiligt werden, kommen die Konflikte der Vergangenheit, die Erinnerungen an die Kindheit wieder hoch.
Vigdis Hjorth, geboren 1959, ist in Norwegen schon lange eine bekannte Schriftstellerin, "Ein falsches Wort" machte sie noch berühmter. Tatsächlich sind ihre Romane auch in Deutschland schon seit Jahrzehnten zu lesen. Dass sie trotzdem wie eine plötzliche Entdeckung wirken, liegt wohl daran, dass Hjorth - wie so viele ihrer Kolleginnen - lange in die Sparte "Frauenliteratur" einsortiert und schlicht übersehen wurde. "Ein falsches Wort", das gerade im Fischer Verlag erschienen ist, war 2019 schon einmal unter dem Titel "Bergljots Familie" im Osburg Verlag herausgekommen - nur fiel das damals kaum jemandem auf. Erst jetzt, da die Autorin großen Erfolg in der angelsächsischen Welt feiert, die "New York Times" und der "New Yorker" über sie berichtet haben und sie im vergangenen Jahr mit ihrem Roman "Die Wahrheiten meiner Mutter" für den Internationalen Booker Prize nominiert wurde, bekommt sie auch hier die Aufmerksamkeit, die ihr gebührt.
Hjorths Themen passen in unsere Zeit. Es geht um Emanzipation, um Familie, um Mutter- und Tochtersein und um Therapie. In "Die Wahrheiten meiner Mutter", das vor rund einem halben Jahr auf Deutsch erschienen ist, erzählt sie von einer Frau, die nach dreißig Jahren in den USA in ihre Heimat Norwegen zurückkehrt und während der gesamten Handlung des Buches versucht, ihre inzwischen alte Mutter zu erreichen, um über vergangene Zerwürfnisse zu sprechen. Vordergründig hat die Hauptfigur Johanna, die Künstlerin geworden ist, die Erwartungen der Familie enttäuscht (abgebrochenes Jurastudium, Scheidung) und die Beziehung auch noch in einem Kunstwerk verarbeitet (Rufmord), doch vermutet man, dass hinter der Entfremdung noch etwas anderes stecken könnte.
"Ein falsches Wort", das in Norwegen schon vier Jahre vor "Die Wahrheiten meiner Mutter" erschienen ist, handelt zwar von völlig anderen Figuren, wirkt aber dennoch auch inhaltlich wie dessen Vorgängerroman. Könnte der Grund für den Bruch nicht in beiden Texten ein Missbrauch sein? Wenn man möchte, kann man in "Ein falsches Wort" außerdem jenes Kunstwerk sehen, das in "Die Wahrheiten meiner Mutter" die Familie empört. Etwas abgewandelt, denn Johanna ist eine bildende Künstlerin. Aber dennoch. Beide Hauptfiguren arbeiten sich an der Mutter ab, viel mehr noch als an den toten Vätern. Beide stehen im Konflikt mit ihren Schwestern, weil diese die Nähe der Mutter weiterhin suchen.
In Norwegen beschäftigte die Leser aber nicht nur die Ähnlichkeit zwischen beiden Texten, sondern auch manche Überschneidung mit der Realität. Hjorths Familie glaubte, sich in "Ein falsches Wort" wiederzuerkennen, und bezichtigte sie der Lüge. Ihre Schwester, eigentlich Juristin, schrieb sogar einen eigenen Roman, in dem sie die Geschichte auf ihre Weise erzählte. Ein wahr gewordener PR-Traum, der beiden Büchern zu einem immensen Aufmerksamkeitsschub verhalf. Das alles, die autofiktionale Erzählweise, der Skandal um die Frage, was Literatur dürfe und wann sie die Privatsphäre verletze, erinnern zwangsläufig an einen anderen, weltberühmten norwegischen Schriftsteller, Karl Ove Knausgård, ohne dessen Erwähnung kaum eine Rezension von Hjorths Büchern auskommt. Auch diese nicht, wobei sofort zu ergänzen ist, dass die Ähnlichkeit sich in den genannten beiden Gemeinsamkeiten bereits erschöpft.
Während Knausgård den Anschein von Wahrhaftigkeit schon dadurch erwecken möchte, dass er sich an jedes Getränk seines Lebens erinnert, tut Hjorth nie so, als wären ihre Bücher keine Romane. Nie entsteht der Eindruck, als kreisten ihre Hauptfiguren, die sich in endlosen inneren Monologen Gedanken um ihr Umfeld, ihr Leben und ihre Beziehungen machen, nicht auf sehr subjektive Weise um sich selbst. Oder als müsse man alles glauben, was hier steht. In "Ein falsches Wort" sagt Bergljot: "Die Macht, die die Erzählungen der Eltern auf die Wirklichkeitsauffassung des Kindes haben, ist so groß, dass es fast unmöglich ist, sich davon zu befreien. Hatte ich mich befreit? Oder war ich noch immer gefangen und hatte nur die Vorzeichen der Erzählung verändert?"
Dass die Psychoanalyse für das Schreiben der Autorin wichtig ist, merkt man nicht nur daran, dass Bergljot erst durch ihre Therapie zu sich selbst findet. Sondern auch an der Art, wie Hjorths Romane erzählt sind. Formal und stilistisch ist alles so ausgearbeitet, so klug gemacht, dass man sich von der Unmittelbarkeit, die Hjorths Texte vermitteln, nicht täuschen lassen sollte.
Wieder und wieder kehrt sie zu denselben Themen zurück, um sich etwa in "Ein falsches Wort" dem eigentlichen Kern der Sache, dem Missbrauch, immer weiter zu nähern. Wieder und wieder benutzt sie die gleichen Formulierungen, die gleichen Motive. Und so entsteht, obwohl bis zum Showdown beim Notar auf der Handlungsebene relativ wenig passiert (Bergljot schreibt und liest E-mails, erinnert sich an ihre Vergangenheit und trinkt dabei sehr viel Rotwein), dennoch ein Sog. Als läge Bergljot vor einem auf der Couch, als kämen die Erinnerungen ihr so, wie sie einem eben kommen: "Um seine Frau zu entlasten, nahm Vater seine älteste Tochter mit, wenn er mit dem Auto unterwegs war, und sie sahen sich Grundstücke für die Baugesellschaft an, bei der er angestellt war, und der Vater und die älteste Tochter übernachteten im Hotel, und es war wunderbar, im Hotel zu wohnen, im Hotel, muss man sich vor dem Essen hinlegen und die Vorhänge zuziehen, das macht man so im Hotel, sagte Vater und zeigte ihr, was man im Hotel machte."
Das Bild, das Hjorth in ihrem Roman von der Familie, von unserer Gesellschaft zeichnet, ist erschütternd. Das wäre es auch ohne sexuellen Missbrauch. Denn es geht um eine Dynamik, in der Harmonie und der Anschein eines schönen Familienlebens mehr wiegen als die Wahrheit, in der alle Störfaktoren und negativen Gefühle verdrängt werden. Und darum, was all das mit fehlender Emanzipation zu tun hat. Da kann eine Mutter nicht zu ihren Kindern stehen, weil die finanzielle Abhängigkeit von ihrem Mann ihr keinen Handlungsspielraum lässt: "Mutter versuchte, allein zu leben, aber es ging nicht. Vater mietete ihr eine Wohnung, nach anderthalb Wochen war sie zurück, und zwar zu seinen Bedingungen."
"Ein falsches Wort", ein Roman, der so intim erscheint, weil er sich um einen kleinen Personenkreis, ja vor allem um eine einzige Frau dreht, ist deshalb trotzdem mehr als ein Familiendrama oder die Geschichte eines beliebigen Erbschaftsstreits. Er ist eine Analyse unseres Zusammenlebens. Dazu bräuchte es die einzigen, eher überflüssigen Passagen gar nicht, in denen ein Freund Bergljots sich mit den Kriegen dieser Welt beschäftigt und daraus teils fragwürdige Schlüsse zieht. Wir verstehen ohnehin, dass es hier nicht nur um eine Familie geht. Dafür sind Familien einander viel zu ähnlich.
Vigdis Hjorth, "Ein falsches Wort". Aus dem Norwegischen von Gabriele Haefs. Verlag S. Fischer, 400 Seiten, 25 Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Die Hauptfigur Bergljot, Redakteurin und Theaterkritikerin, hat den Kontakt zu ihrer Familie weitgehend abgebrochen. Schon vor Jahrzehnten erinnerte sie sich in ihrer Psychoanalyse, dass sie als Fünfjährige vom Vater missbraucht wurde. Eine Tat, mit der sie die Familie konfrontiert hatte und die der Vater nicht zugeben, Mutter und Schwestern nicht ernsthaft anerkennen wollen. Der Familienfrieden soll nicht gestört, Ruf und Firma nicht ruiniert werden. Dann stirbt der Vater. Als Bergljot und ihr Bruder am Erbe der beiden Ferienhütten nicht beteiligt werden, kommen die Konflikte der Vergangenheit, die Erinnerungen an die Kindheit wieder hoch.
Vigdis Hjorth, geboren 1959, ist in Norwegen schon lange eine bekannte Schriftstellerin, "Ein falsches Wort" machte sie noch berühmter. Tatsächlich sind ihre Romane auch in Deutschland schon seit Jahrzehnten zu lesen. Dass sie trotzdem wie eine plötzliche Entdeckung wirken, liegt wohl daran, dass Hjorth - wie so viele ihrer Kolleginnen - lange in die Sparte "Frauenliteratur" einsortiert und schlicht übersehen wurde. "Ein falsches Wort", das gerade im Fischer Verlag erschienen ist, war 2019 schon einmal unter dem Titel "Bergljots Familie" im Osburg Verlag herausgekommen - nur fiel das damals kaum jemandem auf. Erst jetzt, da die Autorin großen Erfolg in der angelsächsischen Welt feiert, die "New York Times" und der "New Yorker" über sie berichtet haben und sie im vergangenen Jahr mit ihrem Roman "Die Wahrheiten meiner Mutter" für den Internationalen Booker Prize nominiert wurde, bekommt sie auch hier die Aufmerksamkeit, die ihr gebührt.
Hjorths Themen passen in unsere Zeit. Es geht um Emanzipation, um Familie, um Mutter- und Tochtersein und um Therapie. In "Die Wahrheiten meiner Mutter", das vor rund einem halben Jahr auf Deutsch erschienen ist, erzählt sie von einer Frau, die nach dreißig Jahren in den USA in ihre Heimat Norwegen zurückkehrt und während der gesamten Handlung des Buches versucht, ihre inzwischen alte Mutter zu erreichen, um über vergangene Zerwürfnisse zu sprechen. Vordergründig hat die Hauptfigur Johanna, die Künstlerin geworden ist, die Erwartungen der Familie enttäuscht (abgebrochenes Jurastudium, Scheidung) und die Beziehung auch noch in einem Kunstwerk verarbeitet (Rufmord), doch vermutet man, dass hinter der Entfremdung noch etwas anderes stecken könnte.
"Ein falsches Wort", das in Norwegen schon vier Jahre vor "Die Wahrheiten meiner Mutter" erschienen ist, handelt zwar von völlig anderen Figuren, wirkt aber dennoch auch inhaltlich wie dessen Vorgängerroman. Könnte der Grund für den Bruch nicht in beiden Texten ein Missbrauch sein? Wenn man möchte, kann man in "Ein falsches Wort" außerdem jenes Kunstwerk sehen, das in "Die Wahrheiten meiner Mutter" die Familie empört. Etwas abgewandelt, denn Johanna ist eine bildende Künstlerin. Aber dennoch. Beide Hauptfiguren arbeiten sich an der Mutter ab, viel mehr noch als an den toten Vätern. Beide stehen im Konflikt mit ihren Schwestern, weil diese die Nähe der Mutter weiterhin suchen.
In Norwegen beschäftigte die Leser aber nicht nur die Ähnlichkeit zwischen beiden Texten, sondern auch manche Überschneidung mit der Realität. Hjorths Familie glaubte, sich in "Ein falsches Wort" wiederzuerkennen, und bezichtigte sie der Lüge. Ihre Schwester, eigentlich Juristin, schrieb sogar einen eigenen Roman, in dem sie die Geschichte auf ihre Weise erzählte. Ein wahr gewordener PR-Traum, der beiden Büchern zu einem immensen Aufmerksamkeitsschub verhalf. Das alles, die autofiktionale Erzählweise, der Skandal um die Frage, was Literatur dürfe und wann sie die Privatsphäre verletze, erinnern zwangsläufig an einen anderen, weltberühmten norwegischen Schriftsteller, Karl Ove Knausgård, ohne dessen Erwähnung kaum eine Rezension von Hjorths Büchern auskommt. Auch diese nicht, wobei sofort zu ergänzen ist, dass die Ähnlichkeit sich in den genannten beiden Gemeinsamkeiten bereits erschöpft.
Während Knausgård den Anschein von Wahrhaftigkeit schon dadurch erwecken möchte, dass er sich an jedes Getränk seines Lebens erinnert, tut Hjorth nie so, als wären ihre Bücher keine Romane. Nie entsteht der Eindruck, als kreisten ihre Hauptfiguren, die sich in endlosen inneren Monologen Gedanken um ihr Umfeld, ihr Leben und ihre Beziehungen machen, nicht auf sehr subjektive Weise um sich selbst. Oder als müsse man alles glauben, was hier steht. In "Ein falsches Wort" sagt Bergljot: "Die Macht, die die Erzählungen der Eltern auf die Wirklichkeitsauffassung des Kindes haben, ist so groß, dass es fast unmöglich ist, sich davon zu befreien. Hatte ich mich befreit? Oder war ich noch immer gefangen und hatte nur die Vorzeichen der Erzählung verändert?"
Dass die Psychoanalyse für das Schreiben der Autorin wichtig ist, merkt man nicht nur daran, dass Bergljot erst durch ihre Therapie zu sich selbst findet. Sondern auch an der Art, wie Hjorths Romane erzählt sind. Formal und stilistisch ist alles so ausgearbeitet, so klug gemacht, dass man sich von der Unmittelbarkeit, die Hjorths Texte vermitteln, nicht täuschen lassen sollte.
Wieder und wieder kehrt sie zu denselben Themen zurück, um sich etwa in "Ein falsches Wort" dem eigentlichen Kern der Sache, dem Missbrauch, immer weiter zu nähern. Wieder und wieder benutzt sie die gleichen Formulierungen, die gleichen Motive. Und so entsteht, obwohl bis zum Showdown beim Notar auf der Handlungsebene relativ wenig passiert (Bergljot schreibt und liest E-mails, erinnert sich an ihre Vergangenheit und trinkt dabei sehr viel Rotwein), dennoch ein Sog. Als läge Bergljot vor einem auf der Couch, als kämen die Erinnerungen ihr so, wie sie einem eben kommen: "Um seine Frau zu entlasten, nahm Vater seine älteste Tochter mit, wenn er mit dem Auto unterwegs war, und sie sahen sich Grundstücke für die Baugesellschaft an, bei der er angestellt war, und der Vater und die älteste Tochter übernachteten im Hotel, und es war wunderbar, im Hotel zu wohnen, im Hotel, muss man sich vor dem Essen hinlegen und die Vorhänge zuziehen, das macht man so im Hotel, sagte Vater und zeigte ihr, was man im Hotel machte."
Das Bild, das Hjorth in ihrem Roman von der Familie, von unserer Gesellschaft zeichnet, ist erschütternd. Das wäre es auch ohne sexuellen Missbrauch. Denn es geht um eine Dynamik, in der Harmonie und der Anschein eines schönen Familienlebens mehr wiegen als die Wahrheit, in der alle Störfaktoren und negativen Gefühle verdrängt werden. Und darum, was all das mit fehlender Emanzipation zu tun hat. Da kann eine Mutter nicht zu ihren Kindern stehen, weil die finanzielle Abhängigkeit von ihrem Mann ihr keinen Handlungsspielraum lässt: "Mutter versuchte, allein zu leben, aber es ging nicht. Vater mietete ihr eine Wohnung, nach anderthalb Wochen war sie zurück, und zwar zu seinen Bedingungen."
"Ein falsches Wort", ein Roman, der so intim erscheint, weil er sich um einen kleinen Personenkreis, ja vor allem um eine einzige Frau dreht, ist deshalb trotzdem mehr als ein Familiendrama oder die Geschichte eines beliebigen Erbschaftsstreits. Er ist eine Analyse unseres Zusammenlebens. Dazu bräuchte es die einzigen, eher überflüssigen Passagen gar nicht, in denen ein Freund Bergljots sich mit den Kriegen dieser Welt beschäftigt und daraus teils fragwürdige Schlüsse zieht. Wir verstehen ohnehin, dass es hier nicht nur um eine Familie geht. Dafür sind Familien einander viel zu ähnlich.
Vigdis Hjorth, "Ein falsches Wort". Aus dem Norwegischen von Gabriele Haefs. Verlag S. Fischer, 400 Seiten, 25 Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension
"Keine leichte, aber eine faszinierende Lektüre" ist das autofiktionale Buch Vigdis Hjorths für Rezensentin Petra Pluwatsch, die darin von einer erwachsenen Frau liest, die als Kind vom Vater missbraucht wurde und der nun im Rückblick von der Familie nicht geglaubt wird. Als der Vater stirbt und sein Testament verlesen wird, reißen alte Wunden wieder auf, die Protagonistin wird zum gemiedenen "Nicht-Kind", so Pluwatsch. Das wiederholte sich in der Realität: Die Familie der Autorin war empört über die Veröffentlichung und bestritt die Vorwürfe. Dort jedenfalls war das Buch ein großer Erfolg und löste rege Diskussionen um die "Wahrhaftigkeit von Literatur" aus, fügt die Kritikerin noch an.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Die norwegische Autorin hat ein Meisterwerk geschaffen, das die Geschichte eines Familienstreits erzählt, der mehr ist als nur ein Zwist. Bettina Wolf desired.de 20241115
Ein tolles Buch hat Vigdis Hjorth hier geschrieben, ruft Rezensentin Sandra Kegel, eines, das keineswegs auf den Skandal reduziert werden sollte, den es in Norwegen auslöste, nachdem Hjorths vermeintlich in der Handlung dargestellte Familienmitglieder gegen die Veröffentlichung zu Felde zogen. Im Zentrum steht Bergljot, eine Dramatikerin und Mutter, die vor langer Zeit den Kontakt zu ihren Eltern und Geschwistern gekappt hatte, nun aber aufgrund von Erbstreitigkeiten wieder mit ihnen zu tun hat. Dabei kommt ein traumatisierendes Familiengeheimnis zur Sprache: Bergljot war als Kind von ihrem Vater missbraucht worden. Mit den Büchern von Karl Ove Knausgard hat Hjorths Roman wenig zu tun, versichert Kegel: Statt auf die endlose Ausbreitung des Alltags setzt die Autorin auf literarische Verdichtung, zudem auf eine Form, in der das Trauma, von dem die Geschichte erzählt, auch auf die Sprache durchschlägt. Insgesamt ein tolles Buch, das es aber nicht leicht macht, nicht mal der Erzählerin, schließt Kegel.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Ein Buch, dessen Lektüre nicht erholsam ist, aber verwandelnd. Meredith Haaf Süddeutsche Zeitung 20240713
Mich hat sofort der Klappentext von diesem tollen Buch angesprochen. Habe vorher noch nichts von der Autorin gehört oder gelesen. Sie hat mich mit diesem tollen Buch total überzeugt. Mich hat es sofort angesprochen weil es in meinem Leben und mit meiner Familie es genau in die gleiche …
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Mich hat sofort der Klappentext von diesem tollen Buch angesprochen. Habe vorher noch nichts von der Autorin gehört oder gelesen. Sie hat mich mit diesem tollen Buch total überzeugt. Mich hat es sofort angesprochen weil es in meinem Leben und mit meiner Familie es genau in die gleiche Richtung läuft. Es zwar noch keiner verstorben aber mein Vater ist schon im Heim. Und unser Elterlicher Allgemeiner steht schon länger leer und ist auch in die Jahre gekommen. Da kommt noch einiges auf uns zu. Genau aus diesem Grund hat mir dieses tolle Buch sofort sehr gut gefallen. Die Charaktere und Begebenheiten sind total bildlich und verständlich beschrieben. Konnte die Gefühle, die erdrückende Stimmung und die Ausbrüche sehr gut nachvollziehen. Musste das Buch auch ein paarmal zur Seite legen, weil es mich einfach total gerührt und zum nachdenken gebracht hat. Ein Buch das man nicht einfach so mal durchliest und dann weg legt. Dieses Buch arbeitet echt in einem und hinterlässt auch seine Nachwehen.
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Auf den Roman " Ein falsches Wort " von Vigdis Hjorth bin ich durch das eindrucksvolle und gut gestaltete Buchcover aufmerksam geworden, das schon durch das allein sitzen einer Person abseits der Familie zeigt, dass es in diesem Roman um Probleme in einer Familie geht.
Vigdis Hjorth …
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Auf den Roman " Ein falsches Wort " von Vigdis Hjorth bin ich durch das eindrucksvolle und gut gestaltete Buchcover aufmerksam geworden, das schon durch das allein sitzen einer Person abseits der Familie zeigt, dass es in diesem Roman um Probleme in einer Familie geht.
Vigdis Hjorth schreibt in ihrem neuen Werk über eine zerrüttete Familie, die besonders schwer nach dem Tod des Vaters zu tragen kommt.
Es entspannt sich ein Erbstreit zwischen der Protagonistin Bergljot und ihren Geschwistern.
Der Vater hat den Geschwistern zwei Ferinehäuser vermacht und Bergljot dabei ausgelassen.
Bergljot fährt nach über zwanzigjähriger Abwesenheit nach Hause und dort kommt es zu einem Eklat, weil sie endlich erzählt, weshalb sie so lange Jahre nicht mehr den Kontakt zur Familie gesucht hatte.
Sie wurde als Kind von ihrem Vater missbraucht und die Mutter hat dazu geschwiegen.
Vigdis Hjorth schreibt sehr emotionsvoll und man kann die Qualen ihrer Protagonistin sofort spüren.
Ein sehr anspruchsvoller Roman, der zum Nachdenken anregt.
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Der Roman "Ein falsches Wort" wirft einen tiefen Blick in die zerrütteten Beziehungen innerhalb einer Familie. Die Protagonistin Bergljot hat seit 23 Jahren keinen Kontakt mehr zu ihrer Familie und hat stattdessen eine unterstützende Wahlfamilie um sich herum aufgebaut. Als …
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Der Roman "Ein falsches Wort" wirft einen tiefen Blick in die zerrütteten Beziehungen innerhalb einer Familie. Die Protagonistin Bergljot hat seit 23 Jahren keinen Kontakt mehr zu ihrer Familie und hat stattdessen eine unterstützende Wahlfamilie um sich herum aufgebaut. Als Konflikte um das Erbe ihrer Eltern entstehen und ihr Vater stirbt, werden alte Wunden aufgerissen, und Bergljots Familie sucht wieder Kontakt. Doch die Gründe für ihren Bruch werden nicht anerkannt, was zu einer komplexen und emotionalen Auseinandersetzung führt.
Der Plot des Romans ist nicht handlungsgetrieben, sondern konzentriert sich auf Bergljots innere Reflexionen, die anfangs einen gewissen Kreislauf zu bilden scheinen und oft beklemmend sind. Dennoch zog mich die Geschichte in ihren Bann, als die Gründe für Bergljots Distanz zur Familie deutlicher wurden. Gefallen haben mir auch die Verweise auf Freud, Jung und verschiedene Schriftsteller:innen, die die Erzählung bereichern und zum Nachdenken anregen.
Die Autorin schafft es in diesem Roman, komplexe emotionale Dynamiken aufzuzeigen und den Leser dazu zu bringen, über die Bedeutung von Familie und persönlicher Identität nachzudenken. Auch wenn nicht in allen Familien traumatische Ereignisse der Ausgangspunkt für Trauer, Wut und Enttäuschung sind, bin ich sicher, dass fast alle Leser:innen Teile ihrer eigenen Familiengeschichte in Bergljots Gedanken wiederfinden werden. Dies war sicher nicht der letzte Roman, den ich von der Autorin gelesen habe!
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"Ein falsches Wort" von Vigdis Hjorth ist ein packendes und psychologisch tiefgründiges Werk, das die Leser*innen mit einer komplexen Familiengeschichte und ihren tiefgreifenden Konflikten konfrontiert. Die norwegische Autorin entfaltet in diesem Roman eine faszinierende …
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"Ein falsches Wort" von Vigdis Hjorth ist ein packendes und psychologisch tiefgründiges Werk, das die Leser*innen mit einer komplexen Familiengeschichte und ihren tiefgreifenden Konflikten konfrontiert. Die norwegische Autorin entfaltet in diesem Roman eine faszinierende Erzählung über Identität, Familie und die Macht der Worte. Der präzise Schreibstil der Autorin und ihre Fähigkeit, die Spannung aufrechtzuerhalten, machen den Roman zu einem fesselnden Leseerlebnis. Doch trotz seiner Stärken könnte "Ein falsches Wort" gelegentlich etwas mehr Tempo vertragen, um den Lesefluss zu verbessern und die Handlung voranzutreiben. "Ein falsches Wort" ist ein Roman, der lange nachhallt. Er wirft wichtige Fragen auf über Familie, Vertrauen und die Bedeutung von Kommunikation. Mit ihrer einfühlsamen und gleichzeitig schonungslosen Darstellung menschlicher Beziehungen hat Vigdis Hjorth ein beeindruckendes Werk geschaffen, das Leser*innen auf vielschichtige Weise berührt und zum Nachdenken anregt.
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In diesem Buch lässt uns Vigdis Hjorth, durch den Charakter Bergljot, an einer zerütteten, disfunktionalen und wirklich toxischen Familie teilhaben.
Schnell wird hier klar, dass die Konversation/ der Streit übers Erbe eigentlich nur der Türöffner ist für den …
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In diesem Buch lässt uns Vigdis Hjorth, durch den Charakter Bergljot, an einer zerütteten, disfunktionalen und wirklich toxischen Familie teilhaben.
Schnell wird hier klar, dass die Konversation/ der Streit übers Erbe eigentlich nur der Türöffner ist für den großen und immer totgeschwiegenen Elefanten im Raum: Gewalt in der eigenen Familie. Dabei geht es hier um sexuelle Gewalt, massive Grenzüberschreitungen und Verleugnung. Auch geht es um die Fassade der glücklichen Familie und welche Opfer erbracht werden müssen, um nach außen hin das gewünschte Bild zu projizieren.
Ich bin wirklich beeindruckt davon, wie Vigdis Hjorth es geschafft hat Gedankengänge von Bergljot aus Papier zu bringen. Das ewige Kreisen der Gedanken, die Ausbrüche und Sprünge sind wirklich unglaublich realistisch ausgeführt. Dabei würde ich den Schreibstil insgesamt als "nüchtern" beschreiben.
Schwierig fand ich die Zeitsprünge, die leider ziemlich unübersichtlich waren. Das könnte sehr einfach beseitigt werden, in dem zum Beispiel der Zeitpunkt der nachfolgenden Szene in Form einer Überschrift genannt werden würde.
Auch hätte mehr Arbeit am Text nicht geschadet. Dabei geht es ausschließlich um Formsachen. Beispielsweise Gesagtes in Anführungszeichen, Inhalte von Briefen kursiv im Text kennzeichnen,... .
Das Leseerlebnis selber könnte also sehr einfach verbessert werden und das Buch so auf klare 5 Sterne anheben.
Insgesamt hat mir das Buch aber sehr gefallen! Es war definitiv keine leichte Kost, aber ein wirklich relevantes Thema. Wirklich klasse!
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Brillant geschrieben
Das Cover gefällt mir ausgesprochen gut, doch hätte ich nie erahnt, welche Geschichte sich dahinter verbirgt!
Handlung:
Das Schlimmste passiert dort, wo wir uns sicher fühlen: in der eigenen Familie. Was nach dem plötzlichen Tod des Vaters zunächst …
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Brillant geschrieben
Das Cover gefällt mir ausgesprochen gut, doch hätte ich nie erahnt, welche Geschichte sich dahinter verbirgt!
Handlung:
Das Schlimmste passiert dort, wo wir uns sicher fühlen: in der eigenen Familie. Was nach dem plötzlichen Tod des Vaters zunächst wie ein Erbstreit zwischen Geschwistern aussieht, wird für die ältere Schwester Bergljot zu einem Kampf um die jahrzehntelang verdrängte Wahrheit. Es geht nicht um Geld und Besitz. Es geht darum, wem die Vergangenheit gehört.
Eine Geschichte, die zeigt, wie prägend die Kindheit der Protagonistin war.
Ein Buch über familiäres Misstrauen und Missverständnisse und die Grenzen von Vergebung.
Ein Buch was erdrückend ist und vor allem eins: nachklingt!
Schreibstil:
Der Schreibstil der Autorin Vigdis Hjorth ist vor allem eins - authentisch. Kurze, eindringliche Kapitel. Die Autorin braucht wenige Worte, um doch so viel zu sagen – ihr Schreibstil ist einfach brillant!
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Bergljot hat vor Jahren mit ihrer Familie gebrochen und den Kontakt zu ihren Eltern eingestellt. Mit einer ihrer jüngeren Schwestern steht sie sporadisch in Verbindung, ihre Kinder treffen zu Feiertagen die Großeltern und Tanten.
Das Erbe unter den Kindern sollte in den Augen der Eltern …
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Bergljot hat vor Jahren mit ihrer Familie gebrochen und den Kontakt zu ihren Eltern eingestellt. Mit einer ihrer jüngeren Schwestern steht sie sporadisch in Verbindung, ihre Kinder treffen zu Feiertagen die Großeltern und Tanten.
Das Erbe unter den Kindern sollte in den Augen der Eltern gerecht aufgeteilt werden: die jüngeren Töchter, zu denen eine enge Bindung besteht, erben jeweils eine Ferienhütte, während Bergljot und ihr Bruder Bård dafür ausgezahlt werden. Als Bård jedoch erfährt, dass der Schätzpreis der Hütten zu niedrig angesetzt wurde, bricht ein erbitterter Erbstreit aus, in den Bergljot unfreiwillig hineingezogen wird. Sie wird damit wieder an den Grund ihres Bruches erinnert und dass dieser innerhalb der Familie nicht anerkannt und totgeschwiegen wird. Nach Jahren von Alpträumen und Therapie ist Bergljot bereit, ihr Schweigen zu brechen und die Familie mit der ungeschönten Wahrheit zu konfrontieren.
Auch wenn Bergljots Trauma anfangs nicht direkt benannt wird, wird durch ihr Verhalten und die angsterfüllten Gedanken deutlich, was zwischen ihr und ihrem Vater in der Kindheit vorgefallen ist, was die Mutter ignoriert und was die jüngeren Schwestern nicht miterlebt haben.
Der Roman ist in kurze Abschnitte unterteilt, in denen zwischen Gegenwart und Vergangenheit willkürlich gewechselt wird. Aus Sicht der traumatisierten Ich-Erzählerin, die fast 50 Jahre nach ihren einschneidenden Erlebnissen und 23 Jahre nach dem Bruch mit ihrer Familie, leidet und auf eine Art von Gerechtigkeit, Entschuldigung oder wenigstens Anerkennung hofft, ist die Geschichte sehr intensiv.
Neben dem Erbstreit, der das fragile Familiengefüge belastet, ist Bergljots Trauma und der Vorwurf an Vater und Mutter zentral. Verzweiflung, Angst und Wut stehen im Raum und nehmen Bergljot die Luft zum Atmen.
Auch für den Leser ist die Lektüre anstrengend. Nicht, weil Details aus der Kindheit lautwerden, sondern weil die Seelenqual Bergljots, die Ignoranz ihrer Primärfamilie und der eigentlich lächerliche Streit über den Wert zweier Hütten, so einnehmend sind. Eine aktive Handlung gibt es in dem Roman kaum, die Themen drehen sich im Kreis, in Bergljots Gedanken und in der Auseinandersetzung mit Angehörigen und Freunden.
"Ein falsches Wort" handelt von einem brisanten Thema und der Entzweiung einer Familie. Was kann es Schlimmeres geben, als wenn Kinder nicht einmal in ihrer eigenen Familie sicher sind? Die Schuld kann nur bei den Erwachsenen gesucht werden, das Kind ist immer das Opfer.
Eine Vergebung erscheint aussichtslos, ein Ausweg nur in einem Befreiungsschlag und endgültiger Lossagung möglich.
Durch die zahlreichen - zum Teil wortwörtlichen - Wiederholungen und den willkürlichen Wechsel zwischen Zeiten und Schauplätzen ist das Lesen anstrengend. Als Stilmittel, um Bergljots Trauma nachzuvollziehen, sind die retardierenden und wirren Gedanken nachvollziehbar, als Roman jedoch zäh und ermüdend. Die Geschichte, die sich letztlich auf eine Wut und dem Wunsch nach Anerkennung auf und durch die verbliebenen Familienmitglieder fixiert und retardierend darlegt, wie verfahren und ausweglos die Situation ist, hätte auch auf die Hälfte der Seite heruntergebrochen werden können.
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Keine leichte Kost
„Ein falsches Wort“ von Vigdis Hjorth beginnt recht harmlos und steigert sich dann mit einer auffallend distanzierten Erzählweise in die Geschichte eines Traumas hinein. Oft bedrückend, manchmal poetisch und mit jeder Seite weniger aus der Hand zu …
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Keine leichte Kost
„Ein falsches Wort“ von Vigdis Hjorth beginnt recht harmlos und steigert sich dann mit einer auffallend distanzierten Erzählweise in die Geschichte eines Traumas hinein. Oft bedrückend, manchmal poetisch und mit jeder Seite weniger aus der Hand zu legen.
Die Protagonistin Bergljot hat eigentlich vor vielen Jahren mit ihrer Familie gebrochen, kann sich jedoch nicht vollständig entziehen. Als nach dem Tod ihres Vaters ein Erbstreit unter den anderen drei Geschwistern aufflammt, wird sie ungewollt in einen zunächst banal erscheinenden Konflikt gezogen, der sie jedoch letztlich dazu zwingt, sich erneut mit der Vergangenheit auseinanderzusetzen. Einer Vergangenheit, die niemand in der Familie anerkennen möchte. Immer wieder aufs Neue muss Bergljot sich von ihrer Familie lossagen, die sie nie richtig gehen lassen, aber auch nicht wieder bei sich aufnehmen will – nur zu ganz bestimmten Konditionen.
Der Roman beginnt leise und unspektakulär, entwickelt aber nach und nach eine gewaltige Sogwirkung. Zunächst ist es die Neugier auf die Enthüllung des lange gehüteten Geheimnisses, die uns Lesende mitreißt. Anschließend ist es der verzweifelte Wunsch nach einem Abschluss, nach Verständnis und Anerkennung, der uns mit Bergljot mitfühlen und hoffen lässt. Die vollständige Identifizierung mit Bergljot wird nur durch die oft distanzierte Erzählweise mit viel indirekter Rede erschwert. Diese stilistische Eigenheit ist nicht ganz leicht verdaulich. Trotzdem entwickelt „Ein falsches Wort“ einen enormen Tiefgang und macht Bergljots zunehmende Verzweiflung im Angesicht himmelschreiender Ungerechtigkeit auf bedrückende Weise greifbar. Ganz im Gegensatz zu Bergljots Rolle in der Handlung ist sie die einzige Figur, um die es im Roman geht, sodass eine Charakterstudie zustande kommt, die keinen Platz für Nebenfiguren lässt. Mit Bergljot gehen wir Lesenden dafür so stark auf Tuchfühlung wie kaum sonst einmal.
„Ein falsches Wort“ ist ein eindrücklicher, ernster Roman mit viel Tiefgang. Eine klare Leseempfehlung für Menschen, die anspruchsvolle Literatur schätzen und bereit sind, sich auf eine ungewöhnliche Erzählweise einzulassen.
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Beklemmende Familiengeschichte
Nachdem ich im letzten Jahr das Buch "Die Wahrheiten meiner Mutter" von Vigdis Hjorth gelesen hatte, das auf der Longlist für den International Booker Prize stand, freute ich mich sehr auf ihr neues Werk "Ein falsches Wort". Es handelt …
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Beklemmende Familiengeschichte
Nachdem ich im letzten Jahr das Buch "Die Wahrheiten meiner Mutter" von Vigdis Hjorth gelesen hatte, das auf der Longlist für den International Booker Prize stand, freute ich mich sehr auf ihr neues Werk "Ein falsches Wort". Es handelt sich hierbei um eine korrigierte Übersetzung ihres Romans "Arv og miljø", der bereits 2016 in Norwegen erschienen ist.
Wie in "Die Wahrheiten meiner Mutter" geht es auch in diesem Roman um eine dysfunktionale Familie, diesmal mit umgekehrter Problematik. Während in "Die Wahrheiten meiner Mutter" die Protagonistin verzweifelt versucht, wieder mit ihrer Mutter in Kontakt zu treten, so ist es in diesem Buch genau umgekehrt. Sie versucht krampfhaft, jeglichen Kontakt mit ihren Eltern und den zwei Schwestern zu vermeiden.
Im Mittelpunkt der Geschichte steht die Theaterkritikerin Berglijot, die als älteste Tochter wohlhabender Eltern gemeinsam mit ihrem Bruder Bård und ihren Schwestern Astrid und Åsa aufgewachsen ist. Mittlerweile ist Berglijot Ende Fünfzig, hat drei erwachsene Kinder und ist geschieden. Die Eltern sind inzwischen 80 und 85 Jahre alt. Berglijot hat ihre Familie seit 23 Jahren nicht mehr gesehen, nachdem sie diese damit konfrontiert hat, dass ihr Vater sie als kleines Mädchen sexuell missbraucht hat. Statt sie um Verzeihung zu bitten, streitet er alles ab. Die Familie glaubt ihm.
Es kommt zu einem erbitterten Streit, als die Eltern die beiden Strandhäuser, die von allen Familienmitgliedern über Jahrzehnte gern genutzt wurden, Astrid und Åsa überschreiben. Das ruft den enttäuschten Bård auf den Plan, der eine gerechtere Verteilung des Erbes fordert. Er erhofft sich Unterstützung durch Berglijot, die sich von der Familie distanziert hatte.
Das fesselnde Buch ist in schöner und intelligenter Sprache geschrieben und liest sich sehr flüssig. Längere und kurze Kapitel, die bisweilen nur wenige Sätze umfassen, wechseln sich ab, und nach und nach enthüllt sich Berglijots Vergangenheit: ihre Kindheit, ihre berufliche Entwicklung, die Zeit ihrer Ehe, ihre drei Kinder und die Trennung von ihrem Mann. Sie leidet unter ihrem Kindheitstrauma, das ihr in seinem Ausmaß erst bewusst wird, als sie erwachsen ist. Selbst eine längere Psychotherapie vermag ihren Schmerz nicht zu mildern, die Wunden sitzen zu tief. Astrid sieht sich als Vermittlerin und versucht immer wieder, durch zahlreiche Telefonate und Emails ihre Schwester dazu zu bewegen, sich mit der Familie zu versöhnen.
Die Charaktere sind authentisch und bildhaft gezeichnet. Vigdis Hjorth ermöglicht es dem Leser, intensiv in Berglijots Gefühls- und Gedankenwelt zu blicken und dabei ihren Schmerz und ihre Verzweiflung zu erleben. Die Geschichte ist vollkommen unsentimental erzählt, es geht neben Familienstreitigkeiten und erlittenen Traumata auch um Schuld, Schweigen und häusliche Gewalt.
Ich empfand den Roman zwar als bewegend, aber auch als sehr bedrückend, da es sich immer wieder mit großer Intensität um Berglijots Probleme drehte, ihre Wut und Verzweiflung. Zusammen mit den vielen Wiederholungen, die den Stil der Autorin ausmachen, fand ich die Lektüre etwas ermüdend.
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Das Cover des Buches hat mich nicht sofort in seinen Bann gezogen. Allerdings hat es dennoch etwas geheimnisvolles. Es zeigt vier Personen, die auf irgendeine Art und Weise zusammengehören, aber auch kein so inniges Verhältnis zueinander pflegen, weil sie dennoch etwas voneinander …
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Das Cover des Buches hat mich nicht sofort in seinen Bann gezogen. Allerdings hat es dennoch etwas geheimnisvolles. Es zeigt vier Personen, die auf irgendeine Art und Weise zusammengehören, aber auch kein so inniges Verhältnis zueinander pflegen, weil sie dennoch etwas voneinander abgewandt sitzen. Aber man kann auf eine etwas distanzierte Familie mit Geheimnissen schließen.
Das Buch handelt von dem Tod des Vaters und einem sich daraus entwickelten Erbstreit zwischen den Geschwistern. Dabei geht es hierbei nicht wie bei vielen Erbstreitigkeiten um das Vermögen. Vielmehr wird die Vergangenheit der Familie thematisiert. Zudem steht ein Vorwurf im Mittelpunkt der Geschichte, der sich aber bis zum Schluss nicht eindeutig klären lässt.
Das Buch an sich hat mir gut gefallen. Auch der Schreibstil ist sehr flüssig. Ich fand das Buch sehr spannend und kann es daher empfehlen.
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